Ein persönlicher Bericht über meinen Nothilfe-Einsatz in Moria

Liebe Freunde, Bekannte, Verwandte, Interessierte,

die Ereignisse der vergangenen Tage auf Lesbos haben mich sehr betroffen gemacht. Vom 19. Juli bis 13. August habe ich mit einem Team von stART international e.V. in Moria gearbeitet. In dieser Zeit habe ich viele Menschen kennen gelernt, die mir während meines dreieinhalbwöchigen Aufenthaltes ans Herz gewachsen sind.

Wir verabschiedeten uns in der Annahme, dass sie entweder einen „blauen Stempel“ (also einen anerkannten Asylstatus) bekommen und weiterreisen können, oder sie noch in Moria leben und wir uns im Oktober wiedersehen. Vieles erscheint rückblickend geradezu „luxuriös“. Die Menschen lebten in Zelten und es gab immerhin meistens Strom und Wasserstellen mit fließendem Wasser. Die Toilettencontainer waren dreckig und viel zu wenige, aber immerhin gab es welche.

Es gab Schulen, wo Kinder und Erwachsene Englisch, Deutsch und Französisch lernten. Zwar nur eine Stunde pro Tag, bzw. alle zwei Tage, aber immerhin. Außerdem wurde Kunstunterricht und Gitarrenunterricht angeboten. Nun leben diese Menschen unter freiem Himmel, auf der Straße, dem Lidl-Parkplatz (wo wir immer einkaufen waren), in den Wäldern, manche anscheinend sogar auf einem Friedhof.

Die zwei Schulen, in denen wir gearbeitet haben: Abgebrannt. Mit allem Inventar inkl. Ca. 20 Gitarren, einer kleinen Bibliothek, vielen Kunstwerken von Geflüchteten, den erst kurz vorher angebrachten Isolierplatten um die Hitze in den kleinen, schlecht zu belüftenden Räume etwas zu dämmen. Die Toilettencontainer: Abgebrannt. Ebenso die meisten Zelte mit dem Wenigen, was die Menschen noch besaßen.

Die eine Schule hieß „WAFE OF HOPE FOR THE FUTURE“, dass ausgerechnet das rote „hope“ schneller verblasst als die anderen Farben mutet fast visionär an. Sie ist komplett abgebrannt.

Es ist unfassbar, dass wir nicht in einem Monat wieder dahin zurückkehren, weil all dies nicht mehr existiert. Wir werden an anderen Stellen nach den Kindern suchen, die zum wiederholten Mal alles verloren haben.

Doch ich bin mir sicher: Nie war die Arbeit so wichtig wie jetzt! Gerade jetzt brauchen die Kinder noch dringender Hilfe, um ihre Resilienz zu stärken. Vermutlich sind viele retraumatisiert worden und wir unterstützen sie in der sehr entscheidenden Phase der Stabilisierung.

Ich schreibe im Moment täglich mit verschiedenen Geflüchteten, die in Moria lebten und merke, dass sie froh sind, erinnert und angehört zu werden.
Sie schicken mir viele Fotos und Videos, die zum Teil apokalyptische Szenen zeigen, und schreiben mir von ihren Erlebnissen.

Aber es ist mir auch sehr wichtig noch Fotos von Juli/August zu zeigen, denn viele Begegnungen mit den Menschen haben mich tief berührt und ihr werdet auch Bilder in den Nachrichten gesehen haben.

Oft wurden wir gefragt: „What do you think about Moria?“
Was soll man darauf antworten? Dass es eine Schande für Europa ist, diese Situation nicht nur zuzulassen, sondern auch noch dafür zu bezahlen um Griechenland still zu halten?  Dass die Zustände menschenunwürdig sind? Dass ich mich schäme, dass so etwas von der EU gebilligt wird?

Wo so viele Menschen zusammen leben, zumal unter diesen extremen Umständen, gibt es alles, von Hass bis Liebe, Trauer bis Glück, natürlich passiert dort viel schlimmes, aber auch so viel Anrührendes.

Besonders in Erinnerung ist mir der ältere Mann, der einen kleinen Vorgarten gebaut hat. Wir haben ihn gefragt, ob wir ihn fotografieren dürfen, daraufhin hat er noch mehr Blumen aus seinem Zelt geholt und dazu gestellt. Er war so stolz, dass seine Bemühungen gesehen werden.
Von dem Tag an, kam er jedes Mal freudestrahlend auf uns zu, wenn er uns sah. Ohne seine Tochter konnten wir kein Wort miteinander sprechen, aber ein Lächeln sagt mehr als tausend Worte.

Die Kinder, die völlig versunken in eine künstlerische Arbeit waren, rundherum wuselte alles, aber die zwei haben ihre eigene kleine Welt erschaffen.

Die vielen Kinder, die beseelt waren, wenn sie etwas basteln und mit nach Hause nehmen durften.

Der Bäcker, an dem wir mehrmals täglich vorbei kamen und der im Laufe der Zeit immer herzlicher gegrüßt hat. Er selber ist Analphabet, seine Frau spricht sehr gut Englisch und hat uns viel erzählt. Solange ein Brot vor der Hütte hing, war geöffnet und es wurde in einem Erdloch köstliches Fladenbrot gebacken. Wenn ausverkauft war, wurde das Brot vom Nagel genommen.

Ein junger Vater, der bereits vier Jahre in Deutschland gelebt hat, dann aber aber als einer von 69 „Geburtstagsgeschenken“ zum 69. Geburtstag von Horst Seehofer abgeschoben wurde.

Ich könnte endlos weiter erzählen, diejenigen, die mich in den letzten Wochen gefragt haben, wie es in Moria war, wissen, dass es länger dauern kann 😉

Auch wenn der Text schon lang ist, möchte ich trotzdem mit euch teilen, was heute passiert ist. Wir haben einen Spendenaufruf auf Facebook veröffentlicht und mussten nach wenigen Stunden die Kommentarfunktion schließen, weil wir einige hasserfüllte Kommentare bekommen haben, meistens gegen die Geflüchteten, es ging aber so weit, dass die private Adresse unseres Vorstandes in den Kommentaren veröffentlicht wurde. Ich finde es sehr beängstigend, dass man derart angegangen wird, wenn man um Hilfe bittet, in Not geratenen Menschen zu helfen.
Ich bitte alle meine Freund*innen, Verwandte, Bekannte und auch Unbekannte: Bitte sprecht über Moria und die ehemaligen Bewohner*innen, wann immer es euch passend oder nötg erscheint!
Unterschreibt Petitionen, schreibt Briefe an euren Bürgermeister. Was auch immer, wenn jede und jeder ein kleines bisschen hilft, können wir die Welt menschlicher machen!

Im Oktober werde ich wieder für drei Wochen nach Lesbos fahren, wenn es euch interessiert, davon zu hören, lasst es mich wissen!
Schickt diesen Bericht auch gerne an Interessierte, Freunde und Bekannte weiter.
Wenn ihr unsere wertvolle Arbeit unterstützen wollt, freuen wir uns über eine kleine, große, einmalige oder regelmäßige Spende. Ich kann auch gerne mal vorbeikommen und privat oder öffentlich über unsere Arbeit erzählen.

SPENDENKONTO von stART international e.V.: IBAN: DE56 7001 0080 0009 0098 05

Ich wünsche euch von Herzen alles Gute,

Ganz herzliche Grüße, eure Valeska